Eines der wunderbarsten - wenn nicht sogar DAS schönste Schiff der Deutschen Marine hat am Dienstag in Ushuaia (Argentinien) abgelegt und befindet sich derzeit bei der Umsegelung des Kap Hoorns! Ziel: Valparaiso in Chile! Dazwischen liegen 1.700 Seemeilen. Das Schulsegelschiff Gorch Fock macht dieser Tage harte Zeiten durch. Anlass für die sehr heftigen Diskussionen ist der Tod einer Matrosin. Sie stürzte Anfang November aus der Takelage auf die Schiffsplanken. Im Rahmen der ersten Ermittlungen wurden mehr als unschöne Einzelheiten bekannt, die im Verteidigungsressort des Ministers Karl Theodor zu Guttenberg nicht gerne vernommen wurden - schon gar nicht in der Zeit des Umbruchs bei der Deutschen Bundeswehr! Berichtet wird von Schindereien bei der Ausbildung der jungen Offiziersanwärter und gar einem Fall von sexuellem Missbrauch. Der Minister selbst hat rasch reagiert, den Kapitän zur See Norbert Schatz bis zum Abschluss der Ermittlungen abberufen und eine Ermittlungskommission unter der Leitung von Marineamtschef Konteradmiral Horst-Dieter Kolletschke nach Argentinen entsandt. Den Stein ins Rollen brachte einmal mehr der Wehrbeauftragte des Bundestages, Hellmut Königshaus. Ihm seien Klagen von Soldaten zu Ohren gekommen, wonach junge Marine-Rekruten drangsaliert worden sind, Alkoholexzesse stattgefunden haben, Drohungen ausgesprochen und sogar eine sexuelle Nötigung begangen worden sei. Am vergangenen Wochenende richtete die Stammmannschaft der Gorch Fock einen offenen Brief an ihren Oberbefehlshaber.Darin ist zu lesen, dass die Mannschaft voll und ganz hinter ihrem Kapitän stehe. Es sei "unverständlich, einen Kommandanten, der allseits beliebt ist, gut zu seiner Besatzung war und viele Entbehrungen auf sich und seine Familie genommen hat, um das Schiff gut zu führen, so abzuservieren, wie es hier der Fall war!". Die Aussage der Offiziersanwärter, wonach die Ausbilder "Menschenschinder" seien, ist "ein Schlag ins Gesicht eines jeden Einzelnen hier an Bord und Rufmord!". Die Stammmannschaft fühle sich "am Ende der Welt im Stich gelassen". Ob das Schreiben im Namen aller Besatzungsmitglieder verfasst wurde, ist derzeit noch nicht ganz klar. Zu Guttenberg hatte Schatz suspendiert, nachdem er von der Bild-Zeitung informiert worden ist, dass kurz nach dem Tod der Frau Bilder einer Karnevalsfeier veröffentlicht werden sollen. Diese Feier wird auch in dem Schreiben an den Verteidigungsminister angesprochen. Der Offizierslehrgang habe am letzten Tag in Salvador für die Mannschaft ein Bier ausgegeben - dies soll auch im Gedenken an die verstorbene Kameradin erfolgt sein. Von Karneval also keine Spur. Zu den Vorwürfen des "Drangsalierens" betont die Mannschaft, dass ein gewisser Drill auf See sein müsse. Der Lehrgangsteilnehmer müsse behutsam bis an die Grenzen seiner Belastbarkeit herangeführt werden, damit er diese Situation im Ernstfall meistern könne. Dies betonen auch ehemalige Crew-Mitglieder: "Wenn plötzlich das Schiff unter dem Brecher verschwindet, wie es bei der Gorch Fock immer der Fall ist, dann kannst du nicht erst anfangen zu diskutieren, ob du jetzt deinen verdienten Schlaf abbrechen solltest oder nicht. Wenn du überleben willst, musst du aufstehen!" Das sog. "Aufentern" in die Segel, bei welchem die Soldatin abgestürzt sei, ist nach dem Unfall am 11.11.2010 auf Kommandantenweisung nurmehr zum freiwilligem Bestandteil der Ausbildung erklärt worden. Und die sexueller Nötigung seien einige "lapidar geäusserte Sprüche von jungen Soldaten" unter der Gürtellinie gewesen. Ein sexueller Übergriff habe es niemals an Bord gegeben. Zu Guttenberg hielt sich bislang mit Aussagen zurück. Er möchte das endgültige Ergebnis der Ermittlungskommission abwarten. Politisch wird v.a. kritisiert, dass die Abberufung des Kapitäns ohne dessen Anhörung und Befragungen der Mannschaft geschehen sei. Auch der ehemalige Kommandant der Barke, Hans von Stackelberg, spricht von einer "Schande", dass Kapitän Schatz "wie ein geprügelter Hund vor der Besatzung" auf dem Schiff ausharren musste. Richtig wäre es gewesen, Schatz sofort abzubeordern oder unter seinem Kommando die unmittelbare Heimreise des Schiffes nach Kiel anzutreten. Zu Guttenberg hat aufgrund der letzten Vorkommnisse etwas an Zuspruch in der Bevölkerung eingebüsst, führt aber die Beliebtheitsskala der zehn wichtigsten Politiker Deutschlands nach wie vor an. Platz 2 hat Kanzlerin Angela Merkel inne. Bei der Marine selbst besteht keinerlei Zweifel darüber, an der "Weissen Lady der Marine" als Ausbildungsschiff festzuhalten. Die Gorch Fock wurde 1958 in der Werft Blohm & Voss in Hamburg vom Stapel gelassen. Benannt nach dem niederdeutschen Schriftsteller Johann Kinau (Pseudonym: Gorch Fock), der 1916 in der Schlacht am Skagerack mit der SMS Wiesbaden kenterte, dient das Schiff vornehmlich der Ausbildung von Offiziers- und Unteroffiziersanwärtern der Deutschen Marine. Die Besatzung beläuft sich auf 69 Matrosen (Stammmannschaft) sowie 200 Rekruten - 14.400 Frauen und Männer haben bislang auf der Gorch Fock ihren Dienst versehen - sechs davon verunglückten tödlich. Der Dreimaster wird nach der Umsegelung des Kap Hoorns unter dem Kommando von Kapitän Michael Brühn wieder den Heimathafen Kiel ansteuern. Der abberufene Kapitän Norbert Schatz erwägt, rechtliche Schritte gegen die Vorgehensweise seiner Suspendierung einzuleiten. Die Staatsanwaltschaft Kiel hat inzwischen Ermittlungen zum Tod der 25-jährigen Kadettin aufgenommen. Ulrich Stock |
TAM-Wochenblatt Ausgabe 3 KW 5 | 14.02.2011 |
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